Umweltbrief.org Öl - der wichtigste Preis der Welt __________________________________ Oben auf der Wiese wachsen Gras und Klee, wie sie auf Wiesen eben wachsen, aber tief unten in der Erde ist alles anders. 1800 Meter unter ostfriesischem Viehfutter lagert in großen Hohlräumen die Nahrung der deutschen Wirtschaft: 400.000 Tonnen Öl, hinabgepumpt und überwacht von den Mitarbeitern des Erdölbevorratungsverbandes. Der verwaltet seit 25 Jahren mehrere hundert Tanks und unterirdische Speicher im ganzen Bundesgebiet, gefüllt mit Öl für 90 Tage, gelagert für den Notfall. Den Terrorfall. Den Kriegsfall. Für den Fall, dass in Deutschland das Öl knapp wird.Vorkriegszeit ist Albtraumzeit. Der Horror könnte so aussehen: Ein Angriff auf den Irak, und als Antwort jagen Terroristen in Saudi-Arabien die Pipelines in die Luft. Bomben auf Bagdad, und in Rotterdam und Houston explodieren die Raffinerien. Raketen auf Saddams Palast, und in ganz Nahost brennen die Ölquellen. Das Schlimme an solchen Schreckensszenarien ist: Sie brauchen gar nicht Wirklichkeit zu werden, um Wirkung zu zeigen. Denn Erdöl wird an der Börse gehandelt, und dort bestimmen nicht Fakten den Preis, sondern Erwartungen, Vermutungen und Wahrscheinlichkeiten. Seit Monaten gehen Ölkonzerne, Benzinhändler und Investmentbanken von einem baldigen, aber kurzen und erfolgreichen Krieg im Irak aus. Schon das hat den Ölpreis auf über 30 Dollar je Barrel (159 Liter) steigen lassen. Sollte es tatsächlich zum Krieg kommen, dieser aber nicht so glatt verlaufen wie ein Videospiel, dürfte Öl sehr schnell viel teurer werden. Die HypoVereinsbank rechnet mit 70 Dollar pro Barrel und mehr. Profispekulanten könnten den Preis zusätzlich in die Höhe treiben, sagt Wolfgang Wilke, Rohstoffexperte der Dresdner Bank. Die Weltwirtschaft ist noch immer eine Ölwirtschaft. Die Menschheit kommt nicht los von der schwarzen Droge: Dreißig Jahre nach der ersten Ölkrise ist die Wirtschaft abhängiger denn je. Der moderne Mensch arbeitet womöglich nicht mehr in der Industrie, aber in ihre Büros fahren die Programmierer, Designer und Controller jeden Morgen in mit Öl betriebenen Autos. Ihre Computer haben mit Öl betriebene Lastwagen aus dem Nachbarland angeliefert, und die Spielsachen ihrer Kinder kamen auf mit Öl betriebenen Schiffen aus Ostasien. Abends lassen sie sich auf mit Öl betriebenen Motorrollern eine Pizza bringen, und am ersten Urlaubstag steigen sie in ein mit Öl betriebenes Flugzeug. Kurz, fast alles von Menschen Geschaffene, das sich auf dieser Erde mit mehr als 40 Kilometern pro Stunde bewegt, bewegt sich mithilfe von Öl. Da aber Transport und Bewegung in der modernen Wirtschaft eine noch größere Rolle spielen als früher, könnte eine plötzliche Verteuerung von Benzin, Diesel und Kerosin noch schlimmere Auswirkungen haben als vor 20 oder 30 Jahren, schreiben die Ökonomen von Goldman Sachs. Die Stein-, Bronze- und Eisenzeit sind vorüber, aber es scheint, die Wissens- und Dienstleistungswelt hat noch nicht so recht begonnen. Der Mensch lebt immer noch im Kohlenwasserstoff-Zeitalter. Der Preis der wichtigsten aller Kohlenwasserstoff-Verbindungen, des Erdöls, bestimmt über den Wohlstand ganzer Länder. Und wer wiederum über den Ölpreis bestimmt, hat mitunter mehr Macht als Konzernchefs, Finanzminister und Notenbankpräsidenten zusammen. Aber schon jetzt liegen 80 Prozent der bekannten und kostengünstig auszubeutenden Reserven auf dem Hoheitsgebiet der Opec-Länder. Dieser Anteil wird wohl noch steigen. Um den Einfluss der Opec zu mindern, haben die Industrieländer aus eigenem Boden Öl gepumpt, wo immer sie es fanden. Sie finden immer weniger. Die britischen und norwegischen Quellen reichen bei den gegenwärtigen Fördermengen noch für acht Jahre, die amerikanischen noch für elf Jahre. Sollte ein Krieg im Irak jedoch den Fundamentalisten am Golf Auftrieb verleihen und etwa in Saudi-Arabien ein Regime an die Macht befördern, das mit einer Politik des knappen Öls die vermeintlichen Feinde des Islam zu bestrafen sucht, dann helfen keine neuen Steuer- und Arbeitsmarktgesetze. Dann verlieren in Amerika, Europa und Japan Millionen Menschen ihren Job! Am Golf hingegen floss in den vergangenen Jahren ein Teil der Öleinnahmen auch in die Finanzierung des Terrorismus. Und auch die Reaktion darauf wäre ohne Öl nicht möglich. Britische Panzer und amerikanische Bomber brauchen Sprit – so viel, dass manche Ökonomen im Kriegsfall schon allein deshalb einen Preisanstieg erwarten. Höchste Zeit, dass sich die Welt aus der Abhängigkeit vom Öl befreit. Der Atomausstieg lässt sich von oben verordnen, der Ölausstieg kaum. Ihre Ölkraftwerke haben die meisten Industrieländer längst abgeschaltet. Die Entscheidung pro Öl aber fällt jeden Tag zigmillionenfach an den Tankstellen der Welt. Allein zehn der täglich verbrannten 70 Millionen Barrel Öl fließen als Benzin und Diesel in die Motoren amerikanischer Autos. Um das zu ändern, hilft es wohl nur, den Preis zu erhöhen. Nicht sprunghaft und plötzlich wie im Krisenfall, sondern schleichend und geplant. Die Entwicklung sparsamerer Motoren und neuer Treibstoffe, die Befreiung vom Öl, würde dann lukrativ. Der beste Weg zu mehr ökonomischer Sicherheit in der Welt sei eine Steuer auf Öl und Energie, schrieb der britische Economist schon wenige Monate nach dem 11. September. Eine Steuer, die bisher „ökologisch“ heißt, die man aber auch „ökonomisch“ nennen könnte. Die Abkürzung bliebe ja dieselbe: Ökosteuer/Schadstoffsteuer. Mehr bei http://www.zeit.de/2003/08/85l_2fProsperit_8at